Rede anlässlich der Enthüllung der Skulptur Indikator

Dr. Susanne Thesing
Dr. Susanne Thesing bei der Erläuterung des kunsttheoretischen Hintergrundes der kinetischen Skulptur INDIKATOR

Meine sehr verehrten Damen und Herren –  lieber Hannes Neubauer !

„Kunst trifft Energie – in ihrer schönsten Form“ – so verkündet die Werbebroschüre zum „Energie-Kunst-Projekt“. Ich antworte: Kunst ist Energie in ihrer schönsten Form ! Und wir alle werden das gleich erleben.

Der Kunstwettbewerb

Wir haben uns heute hier versammelt, um ein besonderes Kunstwerk zu inaugurieren. Kurz zur Vorgeschichte: Vorausgegangen ist ein Kunstwettbewerb, an dem mehr als 60 Künstler teilgenommen haben. Vorgegeben waren 3 Standorte zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten:

  1. Standort Mehlmeisel/Waldinfozentrum
    Thema: Energieholznutzung gestern, heute und morgen
  2. Standort: Speichersdorf/Wirbenz
    Thema: Erneuerbare Energien als Chance für ländliche Räume
  3. Standort Bayreuth/Weide
    Thema: Stadt-Land-Partnerschaften beim Ausbau der erneuerbaren Energien

Der Sieger für den Standort Bayreuth

Aus den über 90 Beiträgen hat eine 14-köpfige Jury zu jedem Standort einen Preisträger gekürt. Hannes Neubauer hat für den Standort Bayreuth/Weide den 1.Platz gewonnen. Mit seinem INDIKATOR hat der Künstler eine monumentale Skulptur geschaffen, die seit letzter Woche an ihrem Bestimmungsort steht. Bevor wir sie in situ zu Gesicht bekommen, will ich versuchen, Ihnen Werk und Schöpfer mit Worten nahe zu bringen, damit Ihre Neugier Energie gewinnt:

Aufbau der Skulptur Indikator

Die Skulptur besteht aus 3 Teilen: Mast – Ring  und – Zeiger

Auf einem Fundament erhebt sich in einem Winkel von ca. 70° ein nach unten konisch zulaufender (sich nach unten verjüngender) Metallpfeiler von ca. 4 Metern Höhe. Auf dem Pfeiler steht ein Ring – beide Elemente haben ein Hohlkastenprofil und sind aus verzinktem, rot lackiertem Stahl.

Der Ring hat einen Außendurchmesser von 1,80 Metern ( innen 1,10 Meter ). Horizontal im Ring ist eine Schwenkachse montiert. In ihrem Mittelpunkt ist der Zeiger befestigt. Er ist 9 Meter lang und wird aus einem Bündel von Aluminiumrohren gebildet, das an einem Ende offen bleibt, während sich am anderen Ende die Rohre zur Spitze verjüngen.

Halten wir fest: wir begegnen drei tektonischen Elementen aus zwei Materialien: Metall und Aluminium in zwei Farben: Rot und Silber.

Das Gesamtgewicht beträgt 800 kg

Die Kinetik

Etwas Entscheidendes kommt nun hinzu: die Bewegung.

Wir haben es mit einer kinetischen Skulptur zu tun. Sie verändert ihre Gestalt durch Energie, die auf ihr erzeugt wird. Auf dem Mast ist ein Solarmodul angebracht, das die Sonnenenergie aufnimmt. Die elektronische Technik im Mastinneren transportiert diese Ladung, sorgt für die Speicherung und Steuerung und garantiert den Antrieb für die Bewegung des Ringes. Der Ring dreht sich und der in ihm befindliche Zeiger ebenfalls: seine Spitze richtet er nach dem Stand der Sonne aus, das bedeutet: er wandert von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Unwillkürlich stellt sich die Assoziation Sonnenuhr ein.

Funktion und Symbolik

Form und Bewegungsradius habe ich benannt; wenden wir uns nun der Funktion und der Symbolik zu:

Ganz entscheidend ist die Setzung der Skulptur in die Landschaft: Von der Stadt kommend spießt sie gleichsam wie eine Stecknadel auf einer Landkarte einen Land-Punkt auf und markiert so den Standort an der Peripherie. Die Ausrichtung gilt dem Landraum, genauer gesagt, dem Himmelsraum.

Hannes Neubauer hat seine Arbeit INDIKATOR ( indicare: anzeigen) genannt. Er bezeichnet sie als „kinetische Landmarke“.

Sie hat mehrere Funktionen:

  • Sie steht für sich in der Landschaft à von der Ferne oder aus der Nähe betrachtet, entfaltet sie je nach Licht und Witterung ein Eigenleben. Die Bewegung der Skulptur wie die des Betrachters  verändern die Wahrnehmung; dies eröffnet viele Möglichkeiten für ein ästhetisches Erlebnis im Wandel
  • Der bewegliche Zeiger gibt eine Richtung an, er verweist einmal auf etwas, das außerhalb des Monumentes liegt, nämlich die Kraft der Sonne, und ist zugleich Nutznießer dieser Kraft, die von außen in die Skulptur einfließt; die Skulptur zeigt etwas an und hat gleichzeitig Anteil am Gezeigten à alles ist durch einen  Kreislauf verbunden
  • Der Ring hat einmal tragende Funktion: er hält den Zeiger.

Zugleich fungiert er als Transporteur der Energie

Die Skulptur verweist also auch auf etwas anderes, auf einen gedanklichen Zusammenhang – sie soll Bedeutungsträger sein.

Hannes Neubauer macht mit seinem INDIKATOR anschaulich, was er in seinem Konzept mit den Begriffen Energiefluss, Energieumwandlung und Energietransfer (mir ist das deutsche Wort Übertragung lieber) erläutert hat:

  • Auf den Energiefluss deutet der Zeiger, die Anmutung eines Strahlenbündels, er zeigt auf die Quelle von Licht und Wärme, auf den Lebensspender SONNE
  • Die Energieumwandlung konzentriert sich auf den ländlichen Raum; hierfür steht der Ring als Sammelbecken zwischen Stadt und Land
  • Die Energieübertragung, symbolisiert durch das Solarmodul am Mast, verweist auf die Schnittstelle Stadt-Land

Technik

Mit handwerklicher Fertigkeit und Erfindungskraft hat der Künstler seinem Entwurf Gestalt und Funktion gegeben. Dabei machte er sich die Errungenschaften der modernen Technik zu Nutze.

Die Verwirklichung dieses technisch höchst anspruchsvollen Projektes war für Hannes Neubauer eine große Herausforderung. Er hat sie bravourös gemeistert. Gemeinsam mit einem jungen Assistenten hat er die Montage durchgeführt. Kenner und Könner der Materie haben ihm beratend zur Seite gestanden (der befreundete Astronom wusste  Feinheiten in der Solar- und Computertechnik zu berechnen, ein erfahrener Ingenieur in der Familie gab Rat bei Berechnung von Statik und Konstruktion).

Das Projekt erforderte ein aufwändiges Management.

Der Künstler

Hannes Neubauer beschreibt die Zeit der Realisation als spannende Phase, in der er viel gelernt hat. Auf seinem Weg als Schmied – Gestalter – Künstler hat ihn dieses Großprojekt reicher an Erfahrung gemacht.

Nach eigenen Worten will Neubauer – ich zitiere:

„die Grenzen zwischen Handwerk, Design und freier Kunst überschreiten, um Ideen und Konzepte vielschichtig zu manifestieren.“ Seine Arbeiten bezeichnet er denn auch als „Interventionen im öffentlichen Raum“  und stellt sie in einen gesellschaftlichen Kontext.

Ausbau der erneuerbaren Energien – Gewinnung von Bioenergie

Im Falle des INDIKATORS geht es um das aktuelle Thema: Ausbau der erneuerbaren Energien – Gewinnung von Bioenergie. Hier spricht man von einem Trend hin zu dezentraler Energieerzeugung und von einer zunehmenden Demokratisierung in der Gewinnung von Energie.

  • Künftig soll es weniger Großkonzerne und Monopole geben – stattdessen mehr dezentrale Gewinnung
  • Wertschöpfung kommt aus der Region.

Diese Stärkung des ländlichen Raumes markiert Neubauer mit dem Standort seines INDIKATORS. Schon heute versorgen die landwirtschaftlichen Lehranstalten städtische Gebäude mit Energie wie z.B. das Y-Haus, von dem aus der INDIKATOR ins Auge fällt,.

Ich habe die Landmarke aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet:

  • als Auftragsarbeit im Rahmen eines Wettbewerbs
  • als Objekt mit technischen Funktionen
  • als Bedeutungsträger

Farbe, Form und Bewegung

Zum Schluss möchte ich einige künstlerische Aspekte hervorheben und komme auf Farbe, Form und Bewegung zurück:

  • Die Signalfarbe Rot bestimmt den Pfeiler samt Ring; das silbrige Aluminium kontrastiert hierzu leuchtend; die grüne Weide setzt die Farbe der Natur als Akzent hinzu à malerischer Aspekt
  • Die formale Konzeption: Sockel – Pfeiler (Mast) – Ring und Zeiger erscheint wie eine freie Variante der klassischen Gliederung, wie wir sie aus der Architektur kennen: Basis – Schaft – Kapitell à Säule
  • dynamisch erscheint schon die diagonale Ausrichtung, energiegeladen wirkt die Farbigkeit, stetige Bewegung vollführen Kreis und Zeiger. Hinzu kommt die wechselnde Gestalt im Wandel der Tages- und Jahreszeit und des Lichtes

All diese Eigenschaften verleihen der Skulptur von Hannes Neubauer   ästhetische Ausdruckskraft.

Historische Einordnung

Der INDIKATOR ist ein kinetisches Kunstwerk. Hierin steht der  durchaus in einer Tradition, die zurückreicht in die Zeit der Renaissance und des Barock. Man denke etwa an mechanische Apparate und Automaten, in denen sich vollendete Handwerksarbeit mit faszinierender Technik verband (Blütezeit der Räderuhr 1550-1650).

Die Darstellung von Bewegung hat vor 100 Jahren – zu Beginn des 20.Jahrhunderts – viele Künstler beschäftigt. So pries der Italiener Marinetti in seinem futuristischen Manifest 1909 nicht nur die Schönheit von Bewegung und Geschwindigkeit, sondern auch die Grandiosität der Technik („ein aufheulendes Auto ist schöner als die Nike von Samothrake“). Für Umberto Boccioni, den Hauptvertreter des Futurismus, war die Beziehung und Spannung zwischen Objekt und Raum ein zentrales Thema. Seine Skulptur „Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum“ von 1913 (auf  italien.20-Cent-Stück ) zeigt dies exemplarisch.

Berühmt sind Marcel Duchamps „Akt eine Treppe herabsteigend“, von 1912 sowie sein „Fahrrad-Rad“ von 1913, das erste kinetische Kunstobjekt und Readymade. Der Amerikaner Alexander Calder (1898-1976), studierter Ingenieur und Hauptvertreter der kinetischen Plastik, baute in den dreißiger Jahren Konstruktionen, die mit Hand-oder Motorantrieb bewegt wurden – Marcel Duchamp nannte sie „Mobiles“.

Plastische Werke, in denen Bewegungsabläufe dargestellt werden, entstehen in den fünfziger und sechziger Jahren des 20.Jahrhunderts.

So schuf George Rickey (1907-2002) – Lehrer und Ingenieur – Metallskulpturen mit Elementen, die durch Luftströme in Bewegung geraten. Und schließlich sei noch der Schweizer Jean Tinguely (1925-1991) genannt, dessen kinetische Objekte aus Draht, Blech und allerlei Fundstücken sich großer Beliebtheit erfreuen.

Naturkräfte wie Wind, Wasser, Gravitation sind bei der Konstruktion kinetischer Objekte häufig die Antriebsursache.

Daß es auch die Sonne sein kann, macht Neubauers INDIKATOR auf beste Weise anschaulich. Der Künstler setzt der Solarenergie hier ein Denkmal – Wir gratulieren ihm herzlich zu diesem gelungenen Wurf!

Dr. Susanne Thesing, Förderverein Skulpturenmeile e.V., 13.11.2012

 


Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert